Warum ist es bei Verspannungen gut zu dehnen? Ist es nicht so, dass meine Muskeln zu schwach sind und ich deshalb verspannt bin?

Nur bedingt. Die Erfahrung zeigt, das es vorallem Verklebungen in Faszien und Verkürzungen sind, die Verspannungen und auch später Schmerzen entstehen lassen. Das Faszien- und Meridiansystem durchzieht den gesamt Körper und ist ähnlich einem Röhrensystem. Bildldich gesprochen: wo Röhren zusammengedrückt werden, entstehen Engstellen. Wo Enge ist, folgt Verdichtung. Blut, Lymphe, Nervenimpulse, "Energie" fließen schlechter.

 

Wo also dauerhaft Belastung anliegt, stagniert der Stoffwechsel im Gewebe, usw. Ein Teufelskreis. Erhöhte Spannung = Verdichtung = weniger Stoffwechsel = noch mehr Verdichtung.

 

Lang gehaltene Dehnungsübungen sind eine effiziente Möglichkeit hier wieder Raum zu schaffen. Etwas das man auch selbst im Alltag gut machen kann. Kräftigung hingegen könnte auch dazu führen, das die verdichtete Stelle noch mehr Spannung aufbaut und das Problem somit verstärkt.

 

Was passiert durch das lange Halten der Dehngungs-/Yoga-Positionen?

Durch Dehnung wird Zugspannung auf das Gewebe ausgeübt, wodurch kurzfristig (2-3 Minuten) sogar mehr Spannung entsteht. Der Dehnreiz bewirkt allerdings auch das sich das Bindegwebe (vorwiegend Faszien) lockert und dauerhaft verändert. Faszien bestehen unter anderem aus Zellen, den Fibroplasten, und diese erkennen anhand der Spannung im Gewebe, ob sie vereinfacht ausgedrückt mehr Stabilität oder mehr Elastizität aufbauen sollen. 

 

Wichtig ist dabei die Muskeln möglichst locker zu lassen, denn nur so geht der Dehnungsreiz tiefer ins Bindegewebe. So gelangt die Entspannung nicht nur in Muskeln und Faszien, sondern auch in Bänder, Sehnen, Gelenke und sogar in Knochengewebe.

 

Versuchen Sie mal folgende kleine Übung: Strecken Sie ihren Zeigefinger aus und zeigen Sie angestrengt in eine Richtung. Ziehen Sie mit der anderen Hand an dem ausgestrekten Zeigefinger. Was passiert? Nicht viel. Nun lassen Sie die Muskeln des Fingers locker und ziehen wieder am Zeigefinger. Jetzt lässt sich der Finger sogar ganz leicht aus der Gelenkpfanne bewegen. Das Bindegewebe des ganzen Fingers wird gedehnt. Entspannung machts möglich.

 

Grenzen erkennen. Wie stark darf ich dehnen?

Die Grenze kann man nur individuell durch Hinspüren erkennen. Ganz grob kann man sagen, dass die Grenze auf einer Intensitätsskale von 1-10 bei etwa 7-8 liegt. Das heisst es darf durchaus eine intensive Dehnungs-Empfindung entstehen, diese darf aber nicht so stark sein, dass ich mich dagegen verspanne, meine Atmung stockt oder Schmerz entsteht.

 

Schmerz ist unser Freund und will uns sagen, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Ich rate jeder und jedem auf dieses natürlich Gefühl zu hören und nicht zu versuchen Schmerz auszuhalten oder durchzugehen. Dies würde meist nämlich dazu führen, das wieder mehr Spannung im Körper entsteht.

 

Wie oft soll ich üben?

Das hängt ganz von Ihren Möglichkeiten ab. Optimalerweise täglich. Dabei muss es gar nicht lange dauern. Oft reichen schon 10min tägliches Training für den Nacken aus, um eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen. Anfangs sollten Sie ihrem Körper ausserdem Zeit geben sich an die Übungen zu gewöhnen. Also anfangs besser etwas weniger, dafür aber konstant.

 

Wirken diese Übungen auch auf andere Teile des Körpers? Kann ich damit Stress abbauen?

Absolut. Dehnungsübungen haben den positiven Nebeneffekt, dass sich unser Gesamtsystem mehr und mehr zu entspannen beginnt. Das zentrale Nervensystem (Gehirn) und das periphere Nervensystem beginnen ebenfalls Spannung abzubauen. So können wir durch dieses Training auch Stress in all seinen Formen abbauen. Das fördert wiederrum die Regeneration des gesamten Organismus und die Gesundheit.

 

Ich selbst erlebe es zb so, das mir die Übungen auch wunderbar helfen, um abends leichter einzuschlafen. Ich verbinde die Dehnung daher bewusst mit Zentrierung, Verlangsamung und Innenschau.